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Projektbeschreibung

Ausgangslage und Projektziele

 

Der grenzüberschreitende Oberrheinaquifer erfüllt sowohl für die Trinkwasserbereitstellung als auch für die Bewässerung wertvolle Ökosystemdienstleistungen, die es jetzt und für zukünftige Generationen zu schützen gilt. In einer aktuellen Untersuchung in einem Stadtteil von Freiburg wurde ein deutlicher Grundwassereintrag von Bioziden und deren Transformationsprodukten aus Filmschutzmitteln für Bautenfarben und –putzen am Beipiel von Diuron, Terbutryn und Octhilinon nachgewiesen. Ähnliche oder gegebenenfalls noch höhere Einträge sind in anderen Stadtgebieten im Oberrhein wahrscheinlich. Es besteht also dringender Handlungsbedarf, da das Umweltverhalten und eine mögliche Gefährdung durch Rückstände biozider Wirkstoffe im Grundwasser weitestgehend unbekannt sind und ein Risiko für Mensch und Umwelt nicht ausgeschlossen werden kann. In einem interdisziplinären Ansatz entwickelt daher das Projekt NAVEBGO an drei ausgewählten Untersuchungsstandorten (die Städte Freiburg, Landau, Straßburg) eine Strategie, um Einträge von Bioziden und deren Transformationsprodukten in den Oberrheinaquifer nachhaltig zu reduzieren. Jene kann in drei Ansätze gegliedert werden (Abb. 1).

Strategie_NAVEBGO

Abb.1: Die Strategie von NAVEBGO

Ansatz 1: Verringerung des Einsatzes von Biozidprodukten durch bauliche Vorkehrungen

 

An Gebäudefassaden können sich Algen und Pilze ansiedeln, die als grau-grünlicher bis schwarzer Belag sichtbar werden. Dies beeinträchtigt das optische Erscheinungsbild insbesondere von hellen Außenoberflächen, ein Verlust der bauphysikalischen Funktionalität ist allerdings nicht bekannt. Ein nachhaltiger Fassadenschutz beginnt schon bei der Gebäudeplanung und schließt bauliche Maßnahmen, wie die Wahl geeigneter Baustoffe oder die Fassadengestaltung (z.B. durch ausreichende Dachüberstände zum Schutz gegen direkten Witterungseinfluss) mit ein. Denn grundsätzlich gilt, dass Oberflächen, die dauerhaft trocken bleiben, weniger von Algen und Pilzen befallen werden und so eigentlich auf den Einsatz von Biozidprodukten verzichtet werden könnte. Bei bereits bestehenden Gebäuden würde ein Verzicht auf schattenspendenden, hausnahen Grünbewuchs zusätzlich zu einem geringeren Algen- und Pilzbefall beitragen. So muss auch die Fassadenumgebung sorgfältig geplant und Kompromisse ausgelotet werden, denn Beschattung ist als sommerlicher Wärmeschutz zum Teil erwünscht. Auch eine angepasste Fassadenentwässerung mit Tropfkanten und Spritzwasserzonen am Fassadenfuß bietet sich als eine nachträglich umsetzbare bauliche Maßnahme an, um Fassaden vor Feuchteschäden zu schützen.

Auf der Basis von bestehenden GIS-Daten der assoziierten Partner in den Stadtverwaltungen von Landau, Freiburg und Straßburg analysiert NAVEBGO den Istzustand einer Grundwassergefährdung in den drei Untersuchungsräumen. Durch Geländebegehungen wird die lokale Fassadengestaltung und entsprechende Entwässerung von Fassadenabflüssen erfasst und das resultierende Biozid-Austragsrisiko ermittelt. Dabei gehen Aspekte wie der Anteil relevanter Fassadengestaltung, sowie Vorgaben zur Fassadengestaltung bei Neubauten in die Bewertung ein. Auch spielt das Stadtentwässerungssystem eine zentrale Rolle. Über die Fläche behandelter Fassaden kann dann mit Anwendungsempfehlungen gängiger Fassadenfarben ein erster Schätzwert für das Kontaminationspotential ermittelt werden. Jener wird danach über eine flächenhafte Modellierung schrittweise verfeinert. Dabei kommen das prozessbasierte Wasserhaushaltsmodell Urban RoGeR sowie das Analysetool FReWaB-PLUS zum Einsatz. Beide Systeme wurden vom Projektträger in Freiburg entwickelt und stehen dem Projekt von Beginn an zur Verfügung. Modelloutputs werden in interaktiven digitalen Karten in einer Internetplattform visualisiert und erhöhen die Wahrnehmung des Problems.

In einer Akteursanalyse werden relevante Akteure in den untersuchten Städten ermittelt und deren Sensibilität gegenüber den oben beschriebenen baulichen Vorkehrungen und dem bestehenden Austragsrisiko untersucht. So können Argumente für eine optimierte bauliche Planung gesammelt und die Machbarkeit von Vermeidungsstrategien bewertet werden. Hier stellen unterschiedliche Rahmenbedingungen in Frankreich und Deutschland besondere Herausforderungen dar. So unterscheiden sich rechtliche Vorgaben z.B. im Baurecht und bei Vorgaben zur Flächennutzung, wodurch Akteuren im Bereich der Stadtplanung unterschiedliche Lenkungsinstrumente zur Verfügung stehen. Als ein wichtiges Produkt erstellt NAVEBGO basierend auf den Projektergebnissen Informationsmaterial in deutscher und französischer Sprache, das auf die Oberrheinregion und auf dort ansässige, relevante Akteure abgestimmt ist. Am Ende sollen verschiedene Akteure durch gezielte Information und zugeschnittene Vorschriften (z.B. durch Vorgaben in Bebauungsplänen) zu einem verringerten Einsatz von biozidhaltigen Produkten bewegt werden.

Ansatz 2: Verringerung des Grundwassereintrags durch technische Lösungen

 

Die niederschlagsbedingte Auswaschung von Bioziden und deren Transformationsprodukten wurde in verschiedenen europäischen Städten nachgewiesen. Auch im Oberrheingebiet ist dieses Problem relevant und wurde durch die bereits erwähnte Studie im Stadtgebiet von Freiburg bestätigt. In dieser Untersuchung wurde zusätzlich die in-situ Bildung von Photo-Transformationsprodukten auf einer Fassade nachgewiesen. Schließlich konnte ein Grundwassereintrag von Bioziden und deren Transformationsprodukten durch dezentrale oder semizentrale Versickerung von Stadtabfluss ermittelt werden, wobei zwei Versickerungsmulden und ein Mulden-Rigolensystem untersucht wurden. Eine genaue Quantifizierung und Bewertung von verschiedenen Eintragspfaden in das Grundwasser war jedoch nicht möglich. Nur wenn die dominierenden Eintragswege bekannt sind, und es ist wahrscheinlich, dass jene sich sowohl zwischen den drei untersuchten Städten als auch innerhalb einer jeweiligen Stadt in verschiedenen Bezirken unterscheiden, können technische Maßnahmen abgeleitet werden, die einen wirksamen Grundwasserschutz im Oberrheingebiet ermöglichen.

Daher plant NAVEBGO ein Monitoringprogramm. Dabei wird in allen Untersuchungsräumen die atmosphärische Deposition der Zielsubstanzen Diuron, Terbutryn und Octhilinon sowie bekannter Transformationsprodukte gemessen. Soll soll der flächenhafte Eintrag bestimmen werden, um damit die Relevanz von Fassadenauswaschungen bewerten zu können. Dabei wird der städtische Abfluss an verschiedenen Punkten beprobt. Basierend auf den in Strategie 1 beschriebenen Geländebegehungen, werden Wasserproben im städtischen Entwässerungssystem von abtropfenden Fassaden, Entwässerungskanälen bis hin zu Versickerungsmulden analysiert. Ein wichtiges und bislang völlig unbekanntes Element stellen Sedimente im städtischen Entwässerungssystem dar. Jene können temporäre Senken für Biozide darstellen oder aber Hotspots für deren Transformation sein. Aus diesem Grund werden sie an verschiedenen Stellen im städtischen Drainagesystem und in Versickerungsmulden beprobt. Grundwasserbeprobungen in allen drei Städten runden die Probenahmestrategie ab und ermöglichen komplette Massenbilanzen für ausgewählte Stadtbezirke. Die erhobenen Daten dienen auch zur Überprüfung der in Strategie 1 beschriebenen Modellierung des Biozidaustrags und ermöglichen einen Vergleich der Grundwasserkontamination in den Untersuchungsräumen des Projekts.

Des Weiteren stehen Bauwerke zur Regenwasserinfiltration (Versickerungsmulden) im Fokus. Deren Aufgabe ist es, anfallenden Oberflächenabfluss möglichst effektiv und schnell dem Grundwasser zuzuführen, wodurch die wirksame Reinigung durch eine Bodenpassage eingeschränkt werden kann. Die Filterwirkung der Bodenpassage wird in NAVEBGO über Experimente in Kleinlysimetern untersucht. Dazu werden Stahlzylinder mit Bodenmaterial gefüllt und mit biozidhaltigen Lösungen beschickt. Über komponentenspezifische Isotopen Analytik (CSIA) und LC-MS/MS Messungen im perkolierenden Wasser können ablaufende Rückhalte- und Transformationsprozesse beschrieben und das Ausmaß eines Grundwassereintrags bewertet werden. Zusätzlich kommen hydrologische Tracer zum Einsatz. Kiesdrainagen am Fuß von Gebäuden stellen einen weiteren potentiellen Eintragspfad dar. Denn auch deren Aufgabe ist es, das anfallende Wasser (in diesem Fall ist dies der direkte Fassadenabfluss) möglichst schnell in den Untergrund abzuführen. So wird auch die Retentionswirkung von Kiesdrainagen in NAVEBGO über Kleinlysimeter und künstliche Tracer untersucht.

Sind die wichtigsten Eintragswege bekannt, können technische Maßnahmen zur Eintragsminimierung abgeleitet und deren Wirksamkeit bewertet werden. Hier ist zum Beispiel eine Erhöhung der Filterwirkung von Kiesdrainagen oder deren komplettes Verbot denkbar. Zusätzlich könnte Sediment im urbanen Entwässerungssystem entfernt oder die Bodenschicht von Versickerungsmulden optimiert und gegebenenfalls regelmäßig ausgetauscht werden. Für alle Maßnahmen erstellt NAVEBGO Kosten-Nutzen-Analysen, identifiziert relevante Akteure und analysiert deren Handlungsbereitschaft sowie potentielle und wahrgenommen Hemmnisse. Eine direkte Umsetzung erster Maßnahmen wird schon während der Projektlaufzeit über eine direkte Zusammenarbeit mit den assoziierten Partnern in den Stadtverwaltungen angestrebt.

Ansatz 3: Bewertung von alternativen Produkten zum Fassadenschutz

 

Unterschiedliche Beschichtungstypen haben eine unterschiedliche Neigung zum Algen- oder Pilzbefall. Die Schutzwirkung biozidhaltiger Produkte ist zeitlich begrenzt, weil die Wirkstoffe ausdünsten, ausgewaschen oder abgebaut werden. Beim Fassadenschutz sind deshalb, sofern technisch möglich, Materialien ohne zusätzliche biozide Ausrüstung zum Schutz vor Oberflächenbewuchs zu bevorzugen, beispielsweise mineralische oder kunstharzgebundene Farben oder Putze. Wenn auf chemischen Schutz trotzdem nicht verzichtet werden kann, sollten Fassaden abhängig von ihrer Exposition mit verkapselten Bioziden behandelt werden. Jene zeigen vor allem im ersten Jahr deutlich verringerte Auswaschraten, die Bildung von Transformationsprodukten ist allerdings noch nicht ausreichend erforscht. Zusätzlich kann auch die Verwendung von Nanopartikeln zum Fassadenschutz in Frage kommen. Siliziumdioxid-Nanopartikel erhöhen die Härte von Fassadenfarben und verbessern deren Abnutzungs-, Kratz- und Witterungsbeständigkeit. Nanoskaliges Titandioxid wirkt bakterizid und wird aufgrund seiner photokatalytischen Aktivität und seines UV-Schutzes in Fassadenfarben verwendet. Auch Silber-Nanopartikel verleihen behandelten Oberflächen einen Schutz gegen Bakterien. Allerdings zeigte sich, dass Silber- und Titandioxid-Nanopartikel aus ökologischer Sicht ebenfalls nicht unbedenklich sind und auch alleine nicht in der Lage sind, das Bakterien- und Algenwachstum auf Testsubstraten vollständig zu verhindern. So ist ihre Schutzwirkung hinsichtlich einer möglichen Pilzbesiedelung begrenzt.

NAVEBGO untersucht auf dem Markt verfügbare alternative Produkte zum Fassadenschutz und bewertet deren Effizienz in Hinblick auf eine Verringerung der Biozidauswaschung. Dabei werden in Fassadenexperimenten mit Bioziden behandelte Mauerfragmente mit Fragmenten verglichen, die mit verkapselten Bioziden, mit Nanopartikeln oder mit traditionellen Mineralputzen behandelt wurden. Dabei wird der abtropfende Fassadenabfluss bei künstlicher Beregnung und bei natürlichen Niederschlagsereignissen beprobt. Durch komponentenspezifische Isotopen Analytik (CSIA) wird die Wichtigkeit von Transformationsprozessen bewertet und verschiedene Transformationsprodukte über LC-MS/MS charakterisiert. Während die Schutzfunktion (ein eventuell auftretender Algen- oder Pilzbefall) in der Kürze der Projektlaufzeit nicht abschließend bewertet werden kann, kann die Mobilisierung von Nanopartikeln, Bioziden und Transformationsprodukten erforscht werden und eine ökotoxikologische Bewertung des abtropfenden Fassadenabflusses erfolgen. Hierzu werden ökotoxikologische Experimente mit den Ausgangssubstraten und mit dem abtropfenden Abfluss durchgeführt. Mit der Grünalge Desmodesmus subspicatus werden Wachstumshemmungstests entsprechend der OECD Richtlinie 201 durchgeführt und das Agglomerationsverhalten der getesteten Nanopartikel im Testmedium mittels dynamischer Lichtstreuung untersucht. Zusätzlich werden mit dem Wasserfloh Daphnia magna akute Immobilisierungstests entsprechend der OECD Richtlinie 202 durchgeführt. In beiden Testssysthemen wird die Wirkung von Nanopartikeln mit derjenigen von Bioziden/Transformationsprodukten verglichen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen wird NAVEBGO Empfehlungen zu derzeit verfügbaren alternativen Marktprodukten zum Fassadenschutz ableiten und kommunizieren.

In einer Akteursanalyse werden Wahrnehmungen und Praktiken von relevanten Akteuren (Hausbesitzer aber vor allem Malerbetriebe und Handwerker) untersucht. Hier stehen Wahlprozesse und -kriterien für die verwendeten Fassadenschutzprodukte, sowie Hemmnisse oder Vorteile von alternativen Produkten im Fassadenschutz aus Sicht der Anwender im Vordergrund. Schließlich können Argumente für oder gegen Alternativlösungen analysiert werden, was wiederum Eingang in das von NAVEBGO erstellte Informationsmaterial findet. Ein wichtiger grenzüberschreitender Aspekt besteht in der Tatsache, dass viele Bau- und Malerbetriebe sowohl auf französischer als auch auf deutscher Seite arbeiten und so die Maßnahmen effektiv im Oberrheingebiet übertragen können.

Implementierung und Wissensverbreitung

 

Der Bearbeitungsstand von NAVEBGO wird über eine Online-Plattform direkt visualisiert und kommuniziert. Durch interaktive digitale Karten wird in allen drei Städten das bestehende Biozid-Austragsrisiko durch die Darstellung von Fassadengröße, -eigenschaften und Anschluss an das Entwässerungssystem visualisiert. Zusätzlich lassen sich Neubauten oder Renovierungen hinsichtlich eines möglichen Austrags von Bioziden direkt bewerten. Auch identifizierte Hotspots eines Grundwassereintrags und vorgeschlagene oder bereits durchgeführte Meliorationsmaßnahmen können in der Informationsplattform ausgewiesen werden. Für die drei Untersuchungsräume werden die digitalen Karten im Projektverlauf stetig aktualisiert und dienen als zentraler Output zur Dokumentation der Projektarbeit. Auf der Online-Plattform von NAVEBGO wird ein Newsblog erstellt, auf dem relevante Ereignisse und neueste Erkenntnisse zeitnah vorgehalten werden. Zusätzlich wird ein NAVEBGO-Newsletter erstellt und an interessierte Personen versendet. Für Pressemitteilungen werden relevante Stellen der drei Partneruniversitäten genutzt. In verschiedenen sozialen Medien (z.B. Research Gate, Facebook, etc.) wird Werbung für NAVEBGO gemacht.

Als Schnittstelle zur Praxis dient ein innovatives Web-Modell (FReWaB-PLUS) zur einfachen Simulation von Wassermengen und Stofffrachten. Jenes wurde bereits in einem Einzugsgebiet in Freiburg erfolgreich getestet. Dabei wurde ein 17-jähriger Zeitraum modelliert und der Gesamtaustrag von drei Bioziden (Terbutryn, Diuron und Octhinilon) basierend auf Literaturwerten aus Laborstudien berechnet. FReWaB-PLUS läuft ohne Installationsaufwand direkt im Webbrowser und kann dank seiner Anwenderfreundlichkeit sehr einfach von Stadtplanern und Behörden eingesetzt werden. Es ist bereits zu Projektbeginn unter www.biozidauswaschung.de frei zugänglich und kostenlos verfügbar. Im Rahmen von NAVEBGO wird es in französische Sprache übersetzt und mit neuen Projektergebnissen zum Biozidaustrag und zu relevanten Eintragspfaden verbessert. In Informations- und Schulungsveranstaltungen wird seine Funktionsweise bei verschiedenen Akteuren vorgestellt, wodurch es neben den erstellten Informationsbroschüren zu einem wichtigen Werkzeug für die Implementierung und Verbreitung der Projektergebnisse von NAVEBGO im gesamten Oberrheingebiet wird.